Ruth Priese
Ruth Priese     Körper- und systemisch orientierte Begleitung von kleinen und grossen Menschen

                                                        AUSGEWÄHLTE EIGENE TEXTE


Geburt - eine einmalige Erfahrung


Ein unbeantwortet gebliebener Brief


Berlin, den 29.12.2007


An Frau Johanna Jäger-Sommer,
Frau Pastoraltheologin Regina Polak,
Frau Theologin Ina Praetorius,
Frau Theologin Hanna Strack und an

die Redaktion von Publik-Forum
Postfach 2010
61410 Oberursel

mit der Bitte um Weiterleitung



Ihre Beiträge zu »Geburt und Gotteserfahrung«


Sehr geehrte Frau Jäger-Sommer, sehr geehrte Frau Praetorius, sehr geehrte Frau Polak, sehr geehrte Frau Strack, sehr geehrte Redaktion,

mit großer innerer Anteilnahme las ich – als ehemalige evangelische Theologin Jg.1937, Mutter von drei erwachsenen Kindern – die Beiträge in Publik-Forum Nr.24-2007 zu o.g. Thema. Herzlichen Dank für Ihren Mut dazu!
Für viele Leser der Zeitschrift sind sie vermutlich eine große Herausforderung, kann ich mir doch nicht vorstellen, daß z. B. wir Examenskandidatinnen von 1960 es gewagt hätten, solche Gedanken öffentlich zu äußern – .

Ich bin also froh, daß Sie in dieser Zeitschrift die Grenz- Erfahrung jeder Geburt und jedes neuen Kindes im Licht der biblischen Tradition thematisieren.
Bitte verstehen Sie, daß meine Gedanken dabei sich zugleich auf das Wunder der Vereinigung von Ei- und Samenzelle als den Beginn unserer Inkarnation ausdehnen. Viele Embryologen sprechen staunend von dem lange in den Körpern der Eltern vorbereiteten »Tanz« der Beiden und von der heiligen Stille nach diesem Ereignis. (Einige kursierende Videos erhalten den Respekt vor diesem Geschehen – , während wir durch andere Bilder offenbar gewöhnt werden sollen, den gewaltsamen Beginn eines Menschenlebens in einer Petrischale wie jedes andere Experiment zu beäugen - - - .)
Und bekanntlich hat jedes Kind, wenn es lebendig geboren wird, über die Schwangerschaft hinweg in der unaufhaltsamen Kraft seines Kommen-Wollens alle Gefahren in der mütterlichen Umgebung (...) auf seiner Reise in den eigenen Körper hinein überwinden können – im Unterschied zu vielen Geschwistern, die dieses nicht schaffen.

Ich bin zutiefst davon überzeugt, daß es in all dem um das Schöpfungsgeschehen selbst geht, um »eine unglaubliche, unbekannte Kraft, die da im Körper wirkt« (Hanna Strack).
Und ich glaube, daß die biblischen und andere Schöpfungsgeschichten die Wahrnehmung dieser alltäglichen heiligen Realität der Menschwerdung deshalb so erfolgreich verdrängen und Schöpfung allein Gottvater zusprechen konnten, weil das Menschliche für die männlichen Menschen soo schwer zu respektieren ist.
Leider hat ja die Abwertung der weiblichen Körper, der weiblichen Sexualität, des weiblichen Blutes, des Mutterseins und Gebärens in unserer kulturellen Tradition für unsere und unser Kinder Beziehungsfähigkeit so fatale Folgen gehabt. Und die vielfach ungestillte Sehnsucht nach intakten Beziehungen gerade an Weihnachten, von der Sie, verehrte Frau Jäger-Sommer ja so überzeugend schreiben, ist m. E. weitgehend eine Folge unserer ungestillten frühen Bedürfnisse nach körperlicher und emotionaler Geborgenheit. Denn in unserer »Kultur« solcher Abwertungen und Selbstentwertungen des Weiblichen entscheiden sich viele Mütter gegen ihre Intuition und ihre eigene Kraft und setzen sich etwa im Kreißsaal nicht zur Wehr gegen die immer noch – oft im Namen medizinischer »Notwendigkeit« – anempfohlenen Trennungen von ihrem Kind. Das können und müssen wir in erschreckender Weise weiterhin in vielen Geburtsklinken unseres Landes erleben.

Daß manche von uns wie z. B. mein eigener Ehemann sich an einem Bild wie Ihrem Titelfoto freuen können, an der Darstellung eines so kleinen entblößten Kindes auf Hand und Unterarm eines Erwachsenen, d.h. für mich ohne den existentiellen Schutz haltender Körpernähe – , zeigt m. E., was in unserer Tradition immer noch als »normal« empfunden wird. Sie beschreiben es ja: die Verbreitung von Unsicherheit und Angst in der Schwangerschaft statt – das werdende Kind schützende – Stärkung des Vertrauens der Mütter in die eigene und die im Kind wachsende Schöpferkraft.

Verehrte, liebe Theologinnen-Schwestern, sehr geehrte Redaktion. Ich hoffe, dass Sie auf die genannten Beiträge viel zustimmendes Echo erhalten und dass Sie das Thema in der Zeitschrift Publik-Forum fortführen werden.


Mit herzlichen Grüßen und Wünschen zum neuen Jahr

Ruth Priese    

(jetzt Säuglings- und Familientherapeutin)



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