Ruth Priese
Ruth Priese     Körper- und systemisch orientierte Begleitung von kleinen und grossen Menschen

                                                        AUSGEWÄHLTE EIGENE TEXTE


Lernende Großeltern
(aus: »Mit Kindern wachsen« – Neue Perspektiven & Werte im Leben mit Kindern April 2006)

Gut kenne ich diese Freude auf das erste – und auf weitere Enkelkinder – zumal, wenn wir spüren, dass wir selbst älter werden und dass unsere erwachsenen Kinder nun ihren eige­nen Weg gehen und uns kaum noch zu brauchen scheinen. Da weckt so ein kleiner neuer Mensch gleich Hoffnung – schon wenn er sein Kommen ankündigt. Und dies geschieht um so mehr, wenn unser eigenes Leben und unsere Arbeit oder Arbeitslosigkeit uns unzufrie­den lassen. Da kommen Enkelkinder oft gerade recht: Wir richten dann zuwei!en alle unsere Sehnsüchte zu ihnen hin und »wollen mehr von ihnen, als sie geben können« (so kürzlich eine junge Mutter).
     Solche meist unbewussten miss­bräuchlichen Wünsche wirken auf junge Familien leicht abstoßend. Dies ist besonders der Fall, wenn sich die Großeltern nicht darüber im Klaren sind, wie sehr sie in Gefahr sind, brach liegende Energien über die Kleinen auszuschütten.
     Manchmal ist es aber auch anders: Wir haben vielleicht – nach den Jahrzehnten der Verantwortung für unse­re eigenen Kinder – gerade damit angefangen, uns weitere Lebensträu­me zu erfüllen. Dann fühlen wir uns vielleicht nicht wohl in dem Wissen, dass unsere erwachsenen Kinder jetzt erneut – auf andere Weise – unsere Umerstützung brauchen. Das trifft vermutlich besonders auf Großeltem zu, die selbst als junge Eltern wenig großfamiliäre Hilfe erfahren konn­ten. Da gibt es einen verständlichen und berechtigten ungestillten Hunger auf ein eigenes Leben. Und dieser Hunger konkurriert mit dem eben­falls verständlichen und natürlichen Bedürfnis der jungen Eltern nach Unterstützung. Denn die Aufgabe, ein oder mehrere kleine Kinder groß­zuziehen, ist für ein junges Paar allein tatsächlich zu schwer!
     Ich persönlich würde mich mehr in diese zweite Gruppe von Großeltern einordnen. Dennoch habe ich in den inzwischen 20 Jahren meines Großmutter­seins die Er­fahrung ma­chen dürfen, dass sich sowohl meine persönlichen als auch die Wünsche unserer drei Kinderfamilien letztendlich doch ganz gut vereinbaren lassen.
     Aber es kommt m.E. alles darauf an, w i e wir Großeltern die jungen Familien unterstützen.
     Als eine ältere Frau, die sich beruf­lich regelmäßig mit jungen Eltern trifft, möchte ich hiermit versuchen aufzuzeigen, welche Art der Hilfe jungen Familien m.E. wirkliche Umerstützung bietet. Dabei spreche ich aus meiner Erfahrung – auch mit den eigenen Kindern und Schwieger­kindern.

Wir leben in einer Gesellschaft, in der – grundg e set z I i c h festgeschrieben – junge Eltern mit ihrer Verantwortung fur Babys und Kinder so gut wie völ­lig auf sich selbst gestellt sind. Und weil wir es selbst oft genauso erlebt haben, fällt uns die Unnatürlichkeit dieser Situation in der Regel gar nicht auf. Vergleiche mit anderen Kulturen, z.B. den altostasiatischen, altafrikani­schen oder altindianischen können uns dagegen das Groteske dieser unserer kulturellen Situation bewusst machen: »Es braucht ein ganzes Dorf, um ein Kind großzuziehen – und es braucht ein ganzes Dorf, um für die seelische Gesundheit der Eltern zu sorgen«, beschreibt die Afrikanerin Sobonfu Somé in »Kinder in der Gemeinschaft« die traditionelle Pra­xis in ihrem Heimatdorf in Burkina Faso.
     Unsere jungen Eltern dagegen, und vor allem die Mütter von sehr kleinen Kindern, leben unter Bedin­gungen, die ein Kollege von mir kürzlich mit »Einzelhaftbedingun­gen« verglich.
     Hinzu kommt, dass die Säuglings-, Bindungs- und Hirnforschung der letzten 20-30 Jahre (die in dieser Zeit sozusagen explodiert sind) unwider­ruflich deutlich gemacht haben: Ungeborene und Säuglinge brauchen zum Aufbau sicherer Bindungen und ihrer Bindungsfähigkeit – als den wichtigsten Wurzeln fur das Heran­reifen ihrer Persönlichkeit – die liebe­volle Beziehung zu mindestens einem, möglichst mehreren Erwach­senen, die absolut verlässlich sind. Es ist aber jungen Elteren nur dann möglich, ihren Kindern solche Ver­lässlichkeit zum Aufbau von Urver­trauen in die eigene Wahrnehmung, in andere Menschen und die »Welt« zu geben, wenn sie selbst ausreichend körperlich und seelisch genährt sind. D.h. ohne Umerstützung k ö nn e n sie diese unglaublich anspruchsvolle Leistung der Grundsteinlegung für friedfertige und glückliche Charakte­re ihrer Kinder nicht erbringen.
     Ich möchte mit diesem kleinen Text gern auch andere Großeltern ermutigen, ihre Kreativität und Ver­antwortlichkeit dadurch unter Beweis zu stellen, dass sie um ihrer Enkelkinder willen noch einmal anfangen zu lernen. Denn ange­sichts der genannten Forschungser­gebnisse gibt es zwischen den Erziehungsprinzipien unserer, der jetzi­gen Großelterngeneration und denen der jetzigen Eltern enorme Unterschiede, die wir nicht einfach übergehen sollten. Denn sie können leicht zu Barrieren zwischen den Generationen werden und die Unterstützung verhindern. Dann sind beide Seiten frustriert. Und das können wir verhindern.

Was ist zu lernen? M.E.
     1. Zuallererst Respekt vor der Rea­litat: Die jungen Eltern sind nun diejenigen, welche die Verantwor­tung für ihre Kinder tragen und meist auch tragen wollen. Das bedeutet vor allem anderen: Wir müssen uns als Großeltern mit unse­ren noch so gut gemeinten Ratschlä­gen zurückhalten. »Ratschläge sind Schläge«, lernte ich einst in einer meiner Ausbildungen. (Manche jun­gen Leute verzichten auf Unterstüt­zung aus Angst vor solchen »Schlägen«: »Du denkst, du guckst nur über meinen Gartenzaun – und ich habe das Gefühl, alle meine Pflanzen dort gehen ein«, sagte einmal die erwachsene Tochtermutter einer meiner Freundinnen zu ihr.)
     2. Unterstützung heißt, »die seeli­sche Gesundheit der Eltern zu stär­ken«. Ratschläge oder gar Kritik jedoch schwächen aber das Selbst­werterleben und das Vertrauen in die eigene Intuition und schwächen die Freude an den Kindern.
     3. Wir können lernen herauszufin­den, was z.B. die junge Mutter möchte. Es ist eine unglaublich hohe emotionale Kompetenz, mich als älterer Mensch im Blick auf die Kinder meiner Tochter oder Schwie­gertochter nach ihren Vorstellungen zu richten, mich in all den prakti­schen Dingen unterzuordnen und den Austausch mit ihr über prinzi­pielle Fragen davon abhängig zu machen, ob sie darüber sprechen möchte oder eben gerade nicht. Und wir erlernen diese Kompetenz nicht mit einem Anlauf: Als ich selbst z.B. vor einem guten Jahr zum Helfen in den Haushalt unseres ältesten Soh­nes fuhr, wo das 2. und das 3. Kind als Zwillinge geboren waren, gab mein Mann mir mit auf den Weg: »Ich werde ein goldenes Kästchen bauen und werde deine Zunge darin hier bei uns aufbewahren, während du dort bist.«
     4. Vielleicht muss ich dann auch einmal über meinen Schatten sprin­gen und meine Tochter oder Schwie­gertochter fragen, wie sie dieses oder jenes Verhalten von mir erlebt hat. Von allein wird sie es nur sehr selten äußern. Denn der Tradition nach haben die jungen Leute zunächst auch heute immer noch Hemmun­gen, uns Ältere zu kritisieren.
     Aber sogenannte »Kritik« ist die große Chance fur uns, nachzuden­ken und zu lernen!
     Freilich erinnere auch ich Situatio­nen, in denen solche Rückmeldun­gen des eigenen Kindes unangekün­digt und in einer solchen Schärfe zu mir kamen, dass in mir jede Freude am Lernen erstarrte. Es kommt wohl in die em komplizierten Terrain zwi­schen Eltern und erwachsenen Kin­dern alles auf den Ton an.
     Die so ganz anderen Lebensbedin­gungen zu verstehen und zu würdi­gen, unter denen wir Alten selbst Kinder – und dann später junge Eltem waren, das können wir von den Jüngeren m.E. nicht erwarten. Aber wir können und sollten uns selbst diese Würdigung geben.

Die große Chance des Großeitern­werdens ist es m.E. in der heutigen Zeit, die Trauer zu spüren, die in uns berührt wird, wenn wir merken, dass es anders möglich ist, als wir es selbst in unserer Kindheit erlebt haben, und auch, als wir selbst es mit unse­ren Kindern »gemacht« haben: Wir haben es so gut »gemacht«, wie wir es zu der damaligen Zeit konnten und wussten. Das gilt!!! Und Trauerarbeit bedeutet auch, mit uns selbst gut zu sein, obwohl es so war!!!
     Wer in diese Richtung weiter ler­nen möchte, dem empfehle ich unter vielem anderen die Lektüre von: D. J. Siegel u. M. Hartzell:»Gemeinsam leben, gemeinsam wachsen – Wie wir uns selbst besser verstehen und unsere Kinder ein­fühlsam ins Leben begleiten kön­nen«. (Arbor Vlg. 2004.)
     Nach dem, was ich seit 7 Jahren regeimäßig höre, sehnt sich die Mehrheit der jungen Mütter danach, mehr, aber feinfühlige Unterstützung von ihren Eltern zu bekommen.
     Was sie aber überhaupt nicht gebrauchen können ist, wenn die Kleinen den jungen Müttern für unerfüllte emotionale Defizite der Großeltern (statt diese zu betrauern) einfach weggenommen, wenn sie z.B. ohne Zustimmung von Eltern und Kind!! herumgereicht, zu Kör­perkontakt gezwungen oder auf andere Weise als Wärmflasche benutzt werden. Auf solche Art von ihren Großeltem »gebrauchte« Kin­der werden diese wohl später nie­mals wirklich lieben können.

Liebe AlterskameradInnen,
bis ins hohe Alter hinein lernen zu können, ist eine der schönsten Fähigkeiten, die uns Menschen gegeben sind. Ich wünsche Ihnen viele neue Entdeckungen dabei!



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