Ruth Priese
Ruth Priese     Körper- und systemisch orientierte Begleitung von kleinen und grossen Menschen

                                                        AUSGEWÄHLTE EIGENE TEXTE


Zur Überwindung des »heiligen Zorns« in Eva Reichs Leben
Ruth Priese, den 9.3.1999

(Dritte Fassung mit Einarbeitung von handschriftlichen Anmerkungen Eva Reichs vom 28.2.1999 an meinen Text: »zweiter Entwurf vom 10.2.1999« mit dem ausdrücklichen Vermerk von Eva Reich: »Jetzt (90er Jahren), seit Beschränkung der Gesundheit, will ich nur Stille und Frieden im eigenen Leben, und wenig Kontakt mit der Allgemeinheit, da meine Energien nicht mehr für die Massen ausreichen. Ich brauche dringend, 'unberühmt' zu leben.«)


»Verstehen ist die spezifisch menschliche Weise, lebendig zu sein, denn jede einzelne Person muß sich mit jener Welt versöhnen, in die sie als Fremder hineingeboren wurde und wo sie im Maß ihrer klar bestimmbaren Einmaligkeit immer ein Fremder bleiben wird. Verstehen beginnt mil der Geburt und endet mit dem Tod«
Hannah Arendt (1)

Als ich im Rahmen der Fortbildung »Emotionale erste Hilfe für Babies und ihre Eltern« bei Thomas Harms im Herbst 1997 zum ersten Mal Texte von Eva Reich las, empfand ich ihre Weise, wahrzunehmen, zu sprechen und zu denken, wie ein Wunder – angesichts dessen, was ich bis dahin über ihr Leben nur durch M. Sharafs Buch »WILHELM REICH DER HEILIGE ZORN DES LEBENDIGEN DIE BIOGRAPHIE« (2) wusste. Kolleginnen aus der Fortbildungsgruppe hatten mehrfach das eigene unterschiedliche Befinden beim Lesen der Texte von Eva und Wilhelm Reich beschrieben. Auch ich fühlte mich wohler bei der Lektüre ihrer Texte. In ihrer Sprache, spürten wir eine persönliche Beziehung zum – und staunenden Respekt vor dem Lebendigen.
»Ich bin durch meinen Vater geschult im Miterleben«
, sagteEva Reich am 13.12.98 zu mir am Telefon. Dieses Miterleben mit anderen Menschen hat aber offenbar eine unterschiedliche Qualität bei beiden. »Sie hat das Kapital, Tochter und Mitarbeiterin Wilhelm Reichs gewesen zu sein, vervielfachen können und verfügt über einen kosmopolitischen Erfahrungsschatz, der als Allgegenwart der emotionalen Zerstörung der Kinder durch Geburts- und Erziehungspraktiken nicht leicht zu tragen sein mag. Dennoch Eva Reich strahlt einen intensiven Lebensoptimismus aus, dazu eine kindliche Neugier des Lernens- und Mitteilen­Wollens, ein tiefes Ja zum Leben also, das ihrem Wesen entströmt. Ein Verstehen des Menschen aus dieser Perspektive bedarf offenbar keiner Bewertungen und Verurteilungen ....« formuliert V. Knapp-Diederichs aus eigenem Erleben. (3) »Was ich persönlich von ihr vor allen Dingen lernte, ist Respekt vor und die Liebe zu allem Lebendigen sowie die Bedeutung der Wechselseitigkeit in allen Beziehungen«, schreibt E. Zornansky. (4)

Wie entstand die Persönlichkeit Eva Reich?
Ihre Warmherzigkeit und Zugewandtheit zu jedem Menschen ihrer Umgebung wird immer wieder von denen beschrieben, die ihr persönlich begegneten. Ihre Haltung und Ausstrahlung, von so vielen gerühmt, scheinen ihr nicht immer schon eigen gewesen zu sein. Wie entstanden sie angesichts der Kette traumatischer Erfahrungen in ihrer Biographie?

Um der Annäherung an eine mögliche Antwort auf diese Frage willen möchte ich in Folgendem zunächst versuchen, die »Trauma-Lebenslinie« (5) Eva Reichs so gut ich es vermag, zusammenzustellen aus
1. dem, was sie selbst mir in zwei Telefongesprächen am 13.12.1998 und am 30.1.1999 großzügiger Weise mit der ausdrücklichen Erlaubnis erzählte, es weitergeben zu dürfen, sowie den o.g. handschriftlichen Anmerkungen,
2. dem, was sie selbst in ihren Texten über sich und ihr Leben schrieb (6),
3. einigem, was M. Sharaf in seiner Wilhelm-Reichbiographie über Eva Reichs Leben berichtet, obwohl Eva Reich selbst seiner Motivation zu dieser Biographie skeptisch gegenübersteht, und
4. dem, was V. Knapp-Diederichs in »Nach Reich« (ZweitausendundeinsVlg. 1997, S.172-175) über sie schrieb:

1. Für meine Wahrnehmung hat Eva Reich von Beginn ihres Lebens an eine Fülle von lebensbedrohenden Erfahrungen durchgestanden. Sie selbst formuliert: »Ich brauchte Jahre, um herauszufinden, was meine eigenen Traumata waren, die mich manchmal an den Rand meines Lebenswillens brachten«. Und sie vergleicht das »Erwecken früher und frühester Körpererinnerungen«mit dem Öffnen eines »Massengrabes, das eventuell noch voller Skelette ist« (7).

1.1. lch setze als einen möglichen Anfang der Trauma-Lebenslinie Eva Reichs die Tatsache, dass ihre beiden Eltern, Annie Pink-Reich und Wilhelm Reich, entscheidende Menschen in ihrer eigenen Familie früh verloren:
Annie geb. Pinks leibliche Mutter Therese Pink geb. Singer ist während der Influenza­-Epidemie 1918 in Wien gestorben, ihr älterer Bruder mit 19 Jahren im 1. Weltkrieg.
Wilhelm Reichs Mutter Cacilie tötete sich bekanntlich, als er selbst etwa 12 Jahre alt war, und sein Vater starb, als er 17 Jahre alt war. Eva Reichs Vater war tief verstrickt in den Tod seiner Eltern.

Es scheint, dass beide Eltern Evas, Annie und Wilhelm, wenig Ermutigung und Begleitung für einen solchen Ausdruck ihrer Trauer über den einschneidenden Verlust ihrer Eltern bzw. eines Elternteiles und des Bruders erhielten, wie er für eine Versöhnung mit diesen Schicksalen ­jenseits von Verdrängung – ausgereicht hätte. Eva Reich meint heute von ihrer Mutter:»Sie hat mich gewollt, sie hat nach diesen Verlusten etwas Lebendiges gebraucht«. Das bedeutet m. E., auch Eva Reich erfüllte, wie so viele Kinder, schon vor ihrer Geburt Mutterfunktionen für die eigene Mutter. Wilhelm Reichs Trauer über den Verlust seiner Eltern scheint nach seiner eigenen, bei Sharaf erwähnten Darstellung der Ereignisse um den Tod seiner Mutter unter »seinen Schuldgefühlen und der im Inneren bebenden Wut über das tragische Ende seiner Beziehungen zu den Eltern« (9) weitgehend verschüttet worden zu sein. Welche Auswirkungen es auf die Qualität seiner Beziehungen gehabt haben könnte, dass er in all dem möglicherweise nie zu ausreichender Trauer, Abschied und Schuldübernahme kommen konnte, beschreibt Eva Reich so: »Er wollte ... er konnte die Konflikte nicht in guter Weise aufarbeiten...«.

1.2. Zur Frage, ob sie ein gewolltes Kind ist, erzählte mir Eva Reich von einem Erlebnis, welches sie in Wien als Vortragsreisende hatte. Eine Bekannte, gab ihr am Abend eines anstrengenden Arbeitstages eine »Metamorphose-Fußbehandlung«. Sie habe während dieser Behandlung »sinnlich das Bild erlebt, dass ich in eine rosa, duftende, weiche Decke hineinsinke und mich sehr wohlig und sehr willkommen fühle. So wird's gewesen sein in den ersten sechs Wochen meines Lebens. ...Ich war geliebt, bevor meine Mutter wusste dass sie schwanger war. Danach war ich separiert. Dann ging meine Mutter in ihren Kopf und war nicht in ihrem Unterleib«.
Nach diesem Erlebnis habe sie ein, Gefühl der Verbindung zu ihrer Mutter bekommen.

Ihr Vater habe geschrien, Annie solle das Kind abtreiben. Aber ihre Mutter habe sich geweigert, denn sie habe im tiefsten Innern ein Kind, gewollt, »obwohl sie nicht wirklich mit ihrem Körper war, nicht mütterlich war und mich auf Distanz halten mußte. Sie ging in ihren Kopf und war nicht in ihrem Unterleib".
Annie Reich, geb. Pink habe während der Schwangerschaft mit Eva weiterstudiert. »Es war damals überhaupt nicht üblich, daß eine Schwangere weiterstudierte«.Annie habe als Medizinstudentin auch weiter seziert. Als Eva Reich Jahrzehnte später einmal zu einem Vortrag in die Anatomie der Wiener Universitätsklinik kam, die sie vorher nie selbst betreten habe, sei ihr alles sehr bekannt vorgekommen.

1.3. »Meine Geburt war arg. Ich wußte nicht, daß es so arg war. Es gibt Bilder von mir als Neugeborenes, wo ich schlapp in den Armen hänge... Ich bin sicher, daß ich fast gestorben bin«
. Eva Reich bringt ihre häufige Atemnot, ihren sehr niedrigen Herzschlag (zeitweilig 40-44 Schläge/Min.), ihren niedrigen Blutdruck, ihre Symptome von Vagotonie und ihre (zeitweilige) Todesangst heute mit ihrer Geburt in Verbindung. Es sei zu dieser Zeit in Wien allgemein üblich gewesen, die Mutter vor der Geburt zu narkotisieren (so, wie Eva Reich selber dann zwischen 1948 und 1950 als Assistenzärztin junge Frauen vor der Geburt mit Barbituraten habe behandeln müssen und schwer beschimpft worden sei, als sie sich weigerte).
Annie Reich geb. Pink gebar Eva Reich am 27.4.1924 im Rudolphiner-Haus in Wien. Eva Reich hat versucht, an ihre Geburtsdokumente heranzukommen. Aber die seien nicht mehr auffindbar gewesen.
Während zweier von Eva Reichs eigenen Therapien, der bei dem Wilhelm-Reich-Schüler Dr. E. Baker in New York (vtl. 1949 oder 1951) und während, der bei der Primärtherapeutin, Constanze Corey 1977 habe sie beim Sich-Hinlegen und Ausatmen beide Male plötzlich nicht mehr atmen können und solche Todesangst gespürt, wie sie sie aus ihrer Kindheit kannte, Dr. Baker habe es nicht gemerkt und sie selbst habe das Phänomen zu der Zeit noch nicht verstanden. Zu dem viel heftigeren Erleben 1977, bei dem Constanze Corey ihr beigestanden hat, sagt sie: »dieses Mal hatte ich Sinn. Constanze ließ  mich. Es dauerte drei Stunden. Ich konnte nicht atmen, habe drei Stunden lang Schleim gespuckt und dachte, ich sterbe. Ich war so schlapp, kaputt und zermürbt, daß ich mich nicht bewegen konnte. Deshalb mußte ich bei Constanze übernachten, ehe ich wieder chauffieren konnte«.Eva Reich deutet diese ihre Erfahrung als »Prototyp von Geburtsreaktion. Es ging mir auf - durch Constanze«.

1.4. Durch die zu lange Narkose ihrer Mutter unter der Geburt sei Eva Reich von ihren Gefühlen zu ihrer Mutter Annie entfremdet gewesen. Sie sei zwar alle 4 Stunden gestillt und vor - sowie nach den Mahlzeiten gewogen worden wie damals in Wien nur wenige Babies, dennoch sei sie das »nicht angerührte Baby gewesen, das separiert wurde«. Es sei mit ihr und ihrer Mutter damals alles getan worden, was nicht richtig war. Damals seien in Europa und Nordamerika alle Babies von ihren Müttern getrennt worden. Sterilität sei oberstes Ziel des Handelns in den Geburtskliniken und bei der Säuglingsbetreuung gewesen. Die Babies seien sofort abgenabelt worden. Es sei mit größter Selbstverständlichkeit eine Kette von Fakten praktiziert worden, die neurotische Entwicklungen begünstigen.

1.5. Das junge Ehepaar Annie und Wilhelm Reich lebte mit der neugeborenen Eva zunächst bei den Großeltern Alfred und seiner zweiten Frau Malva Pink in einem Zimmer in Wien. Annie Reich habe bald weiter studiert und danach sofort zu arbeiten begonnen. »Meine Eltern haben immer gearbeitet und ich war immer mit irgendjemandem, nur nicht viel mit meiner Mutter zusammen«(10)
»Der Opa Pink war eine wichtige Person in meiner Kindheit. Er hat mir alles gegeben, was ein Vater tun sollte, mir Geschichten erzählt, mich durch Mikroskop schauen lassen... Malva war sehr lieb zu mir. Sie war die Einzige, die mich gefüttert und betreut hat.  Ich war das erste neue Leben, das in dieses Familiensystem hineinkam, nachdem sein Sohn Fritz gefallen war. (Malva hatte kein eigenes Kind). Die Großeltern Pink waren großartig.«
Mit 10 Monaten ist Eva während eines Kongresses, zu dem ihre Eltern fuhren, in ein öffentliches Waisenhaus gegeben worden. Sie hat dort eine so schwere Diarrhoe bekommen, daß die Großeltern gerufen werden mußten. Weil »Eva in »Lebensgefahr«war, sollten sie sie abholen«.
Danach war Mitzi, Maria Milberger, für Eva und später für beide Kinder mitverantwortlich bis zum Umzug der Familie nach Berlin 1931. »Was mich berührt und woran ich mich erinnere, ist meine Beziehung mit meiner liebenden Mitzi. In Wien durfte man z. B. zu der Zeit keinen Kinderwagen in die Tram nehmen. So fuhr Mitzi uns zu Fuß quer durch die Stadt, um ihre eigene Mutter mit uns zu besuchen. Und sie ging dann in Kirchen, um auszuruhen. Mitzi war religiös und hatte einen wichtigen Einfluss auf mich. Sie hat z. B auch gesagt: 'Kinder sind wichtige Menschen'. Eine solche Meinung existierte in der Zeit sonst nicht. 'Du kannst immer mit Gott reden, wenn du eine Not hast', hat Mitzi uns gesagt.
Als die Streitereien zwischen meinen Eltern anfingen
am Ende der Berliner Zeit, habe ich­ oft im Bett gelegen und es gehört und gebetet: 'Gott, bitte hilf mir, ich kann es nicht aushalten'. lch war froh, daß sie auseinandergegangen sind. Mit 7 Jahren bin ich von meiner Mitzi getrennt worden wegen des kommunistischen Lagers. 1973 habe ich Mitzi zusammen mit meiner Tochter zum ersten Mal wiedergefunden in Wien.
Ich war atheistisch erzogen worden. Das Reden mit Gott war in meinem Elternhaus nicht erlaubt. Mit 10-13 Jahren mußten wir in der Schule angeben, zu welcher Konfession wir gehören. Man konnte nicht konfessionslos sein. Ich habe aber
»konfessionslos« gesagt. Es ist ein »Verbrechen meines Vaters an meiner Seele«. 1964 habe ich Jesus in mein Herz aufgenommen. Ich bete z. B. jedes Mal, wenn ich Autofahre. lch habe eine Beziehung zu Gott aber jetzt kein Dogma oder offizielle Religion. Das verdanke ich meiner Mitzi.«
­ (11)
Da beide Eltem dann in ihrer eigenen Wohnung psychotherapeutisch arbeiteten, wie es zu jener Zeit üblich war, »mußte ich meine ganze Kindheit über verschwinden, wenn die Patienten wechselten. Die sollten nicht wissen, daß da eine ganze Familie lebt«.

1. 6. Wie sehr Eva unter dem zunehmenden Streit zwischen ihren Eltern litt, ist nicht zu messen. Er hat ihre ganze Kindheit geprägt. Es war eine Kette von Konflikten zwischen ihrem Vater und seinen Gesinnungsgenossen und Freunden einerseits und ihrer Mutter, Alfred Pink und den Menschen um Annie herum, die von der herrschenden Erziehungstheorie Anna Freuds geprägt waren, andererseits. Nach Sharaf hat Annie seit Wilhelm Reichs Sanatoriumsaufenthalt in Davos 1927 dessen Verhalten als Ausdruck eines beginnenden psychotischen Prozesses eingestuft (12).
Vor der Wahrnehmung der eigenen Wertung kann man, als Elternteil das eigene Kind offenbar nicht schützen. Sharaf berichtet: »Annie scheint die Gewohnheit gehabt zu haben, die eigenen Gefühle herunterzuschlucken, gleichzeitig aber ihre Situation gegenüber anderen so darzustellen, daß sie den Ärger der anderen auf (Wilhelm) Reich schürte«.(13) Die Abwertung eines Elternteils durch den je anderen erleidet ein Kind nach Erfahrungen z.B. in Familienaufstellungen als Abwertung seiner einen Hälfte in seinem Körper.
Eva wurde schon 1934, nach der Trennung der Eltern, der Übertragung des Sorgerechtes auf die Mutter und der Rückkehr der beiden Reich-Mädchen nach Wien 1933, damit der Trennung der Kinder vom Vater in eine mehrjährige Kinder-Psychoanalyse zu Berta Bornstein geschickt. Eva Reich spricht von dieser selbst kinderlosen und von Anna Freud geprägten Frau heute nur voller Zorn als »der Gehirnwäscherin«und erinnert sich an deren »ununterbrochenen Druck«, an einen Menschen, »der die Kinder bearbeitet hat«. Sie sei von Berta Bornstein gegen ihren Vater aufgehetzt worden: »Sie hat nur gedacht, daß ich vom Vater verführt werde .... Ich war traurig. Ich konnte nicht mit meinem Vater sein. Ich wollte weinen und habe es unterdrückt, habe es nicht gezeigt. Das Wichtige war, ich wollte zu meinem Vater, hatte Lust, ihn anzurufen, ganz klar.«
Ihre Schwester Lore habe in den letzten Jahren recherchiert und viel Material gesammelt über andere Opfer der Berta Bornstein. Eva Reich nennt jene Kinderanalyse heute eine »medizinische Folter«. Ihre Briefe an Wilhelm Reich aus dieser Zeit und seine an sie seien von ihrer Mutter und Berta Bornstein kontrolliert worden. »Die ganzen Erwachsenen um mich herum, die ganze Antireichfraktion der Psychoanalytiker war verschworen gegen mich«.

1.7.
Eva besuchte vor dem Umzug nach Berlin den Montessorikindergarten in Wien: »das Beste, was mir in meinem Leben widerfahren ist. Es war der wichtigste Einfluß meiner Kindheit. Die gute Emma Plank, die wir 'Nuschi nannten, habe ich als 5-jähriges Kind in der Troststrasse Montessori Schule erlebt. Ich liebte diese wundervolle Schule, mußte als 5­-jährige mit drei Trams eine Stunde lang hinfahren ALLElNE. Mit 5 1/2 Jahren war es aus«.
Eva kam in diesem Alter wegen Diphterie-im Rahmen einer Epidemie für ein halbes Jahr in ein Krankenhaus, in welches die Eltern nicht hinein durften, sie also nicht berühren konnten, sondem unten vor dem Kinderspital stehen bleiben mußten. Diese ihre zweite große Trennung wertet Eva Reich heute als ihr (nach ihrer Geburt) »zweites Trauma«.
Sie habe sich von diesem Krankenhausaufenthalt nicht erholt. Sie habe vor allem wegen der Trennung von ihrem Vater sehr großen Schmerz empfunden. Zur Unterdrückung ihrer Tränen hinzu kam, daß beim Schwimmenlernen ihr niemand gezeigt habe, wie man das Wasser wieder aus der Nase herauspusten müsse. So habe sie immerzu Sinusitis bekommen. Mit 10 Jahren mußte sie dann deswegen an der Nase operiert werden. Das ist eine »wahnsinnige OP gewesen. Die Tragödie des Gefühls wurde somatisch behandelt: sitzend, auf einem Stuhl, ohne Narkose, nur mit Kokain in der Nase. Ich hatte das Gefühl, daß mir mein Schädel zerbricht, daß ich gefoltert werde und sterbe. Es war wie eine Folter. Das soll man keinem Hund antun. (»Turbinatbeinresektion!«)«--
»Ich wurde bearbeitet von beiden Seiten. Es ist unglaublich, über ein Kind zu fechten«. Im Blick auf ihr Bemühen, dem Vater entgegen aller Beeinflussung treu zu sein, sagt sie über ihr Befinden nach dieser schrecklichen OP: »Da habe ich beigegeben. Ich konnte nicht mehr kämpfen. Ich war an dem Punkt angelangt, wo ich sagte: o.k.. Da bin ich wirklich umgekippt ich weiß noch,  wie ich im Bett gelegen habe und gesagt: ja, du hast recht. Wie hypnotisiert wollte ich meinen Vater nicht mehr sehen. Es waren Erwachsene, die über mich gekämpft haben. Dann habe ich ihm noch immer ab und zu geschrieben. Und er hat mir einige Dinge geschickt. Sie haben meine Post zensuriert«. Eva hatte bis 1938, dem Jahr der Emigration ihrer Mutter Annie mit ihren Töchtern Eva und Lore in die USA, drei Jahre lang keinen Kontakt zu ihrem Vater. Nach und nach hat sie sich von dem Urteil ihrer Mutter über ihn gelöst. Sie war »nach der Emigration in den USA nicht glücklich. Ich fühlte jetzt, daß eine Verschwörung gegen mich stattgefunden hat. Ich wurde dick und schaute aus wie Berta Bornstein. Als ich 17 Jahre alt - und das erste Mal verliebt war, habe ich gesagt: ich brauche die Psychoanalyse nicht mehr«. Eva bezog jedoch z. B. das Zimmer nicht, welches ihr Vater für sie in seiner Wohnung zur Verfügung hielt, nachdem er auch in die USA übergesiedelt war.

1.8. »Wir waren total verwahrlost«. In Berlin sollten die Kinder auf Wunsch ihres Vaters in die sozialistische (»kommunistische!?«) Jugendgruppe»Die Freie Jugend«gehen. »Ich habe mich geweigert. Wir haben uns angeschrien im Treppenhaus. Wir haben ziemlich gestritten miteinander. Er nannte mich später ein Pferd das auf 2 Fußen auf steht .... Ich wollte nicht mit Ihm streiten.« Nach Sharaf gab Annie schließlich Wilhelms Druck nach. So gingen Eva und ihre 1928 geborene Schwester Lore also den Sommer 1931 ins »Kinderheim der Kommunisten« in Berlin- Frohnau. »Wir haben uns dort sehr unglücklich gefühlt, es gab sehr schlechtes Essen. Lore bekam Rachitis. Lore hatte Schwierigkeiten mit meinem Vater. Sie war mit unserer Mutter identifiziert. Er wollte kein zweites Kind. Er hat immer gesagt: 'Lore ist dein Kind. lch hab' ja Eva. ' Ich habe seinen Part gewählt. Mein Vater war so gerecht, wie es für uns, seine Kinder sehr schmerzlich war.z. B. kam er zu einer Zeit, da Autobesitz rar war, eines Tages mit dem Auto zu dem Heim und versammelte die Kinder des Lagers um sich, machte ein Losspiel. Und am Ende kriegten 3 oder 4 Kinder eine Reise. Ich war nicht dabei. So gerecht war er. Ich war natürlich verletzt und habe gedacht, er liebt mich nicht genug, daß er mich nicht mitnimmt. Da war ich sehr deprimiert. ... Ja, er nahm uns mit auf Reisen, hatte aber keine Zeit, wenn ich ihn sehen wollte, wenn ich Not hatte auf einen Elternteil. Ich war nie verbittert gegen ihn. Es war eine stürmische aber liebende Beziehung. Es war nicht leicht, lange mit Ihm zusammen zu sein. Nach einer Weile ging etwas kaputt. Das scheint ein Muster gewesen zu sein. Er war diktatorisch und autokratisch. Er wußte nicht, daß er so war. Er konnte sehr liebend und gütig und wundervoll sein. Er konnte mit mir sprechen. Ich war jemand, den er verstand... Er hat einige Ideen gehabt, was ich tun sollte, die waren total falsch. Z. B. habe ich die zwei Jahre als lnternship-Ärztin in schlechtem Gesundheitszustand gegen seinen Willen durchgehalten. ... Er wollte eigentlich über das Leben der anderen herrschen. Aber das wußte er nicht.  Er hatte wenig Einsicht über seine autoritäre Lebensweise. Er hat sich dann an nichts erinnert, hat nicht gewußt, wie er sich anhört. Es gab ja damals noch keine Kasetten. So sind alle Männer seiner Generation gewesen in den östlichen Ländern. Das hat Ilse am Längsten ausgehalten. Er beschrieb die Männer in seiner Familie als aufbrausende, die Frauen und Familie beherrschende Menschen...Er ist auch manchmal gewalttätig gewesen ... auch gegen mich. Ich glaubte nicht, was für ein Alkoholiker mein Vater unter all dem Druck (während der USA-Verfolgung 1956-57!) geworden ist

Eva und Lore Reich wurden nach dem Reichstagsbrand 1933 allein von Berlin zu den Großeltem nach Wien geschickt. Ihre Mutter war in Prag und ihr Vater blieb in Berlin. Ihre alten Großeltern fühlten sich mit der Betreuung der beiden Kinder in ihrer kleinen Wohnung überfordert. So wurden die Mädchen 1933-1936 in die kleine Pension Grete Fried geschickt, wo in der Regel Waisenkinder untergebracht wurden. Dort hätten sie u.a. unter dem Waisenstatus sehr gelitten. »Meine Lore war unglücklich dort. Sie hat diese Zeit als Trauma empfunden«. Eva Reich erinnert sich, daß ihr Vater sie in dieser Zeit von Norwegen aus telefonisch angerufen hat, oder daran, daß er ihr ein Grammophon schenkte.
»Das Familiensystem war total kaputt. Ich war jeden Sommer weg...Ich war eine kleine Mutter zu meiner kleinen Schwester.«
Im »fröhlichen« Sommer in Dänemark 1934 erlebten Eva und Lore das Glück ihres Vaters zusammen mit Elsa Lindenberg. »Elsa war seine große Liebe. Ich liebte sie auch

1.9. »Reich blieb erpicht darauf, sie ganz als Tochter und als Studentin zu gewinnen«, schreibt Sharaf (14). Er habe sich z. B. beschwert, daß sie nicht mehr Zeit mit ihm verbrachte. 1948 machte Eva Reich ihren Doktor der Medizin und arbeitete dann in New York – zwei Jahre lang als Internship-Ärztin, ohne dafür Geld zu bekommen. »Ich wurde da sehr ausgenützt«. 1950 zog sie als Forschungsassistentin neben 6 – 8 anderen Leuten zu W. Reich nach Orgonon. Dort bezahlte sie bald, im Januar 1951 das Oranur-Experiment ihres Vaters vermutlich schwerer als alle übrigen Beteiligten, nämlich mit 2-stündiger Bewusstlosigkeit, Gleichgewichts- und Atemnot, Herzschwäche und entsprechenden Nachwirkungen über etwa 2 Monate hinweg (15).
Am 24.3.1951, »(Reichs 54. Geburtstag), schenkte er Eva ein teures Mikroskop. Eva verhielt sich ambivalent ...... daß sie nicht sicher sei, wo sie leben würde .... er will, daß ich wie er werde ... Reich wurde enorm wütend und unterstellte ihr in ihrem Zögern Feindseligkeit ....die alte Furcht vor zu großer Nähe zu ihrem Vater .... Reich befahl ihr, Orgonon zu verlassen, was sie für etwa ein Jahr tat. Sie nahm eine Assistentenstelle für Kinderheilkunde in New York City an« (16)
»Die wachsenden Spannungen zwischen Reich und Ilse drückten sich in seiner Entscheidung aus, Eva nach Orgonon kommen zu lassen, damit sie sich um ihn während der letzten Wochen seiner Krankheit kümmerte....« (17). Im Zusammenhang mit dem Regen-Experiment des Vaters schreibt Sharaf über Evas Lebensgefährten, sie, ihren Halbbruder Peter und Wilhelm Reich, im Oktober 1954: »Er fuhr zusammen mit Eva nach Westen, während Peter und Bill Moise in einem Cloudbuster Truck reisten« (18).
Eva schrieb auch den »von Reich publizierten medizinischen Bericht über die Nutzung des Akkumulators nach der Verfügung«, eine Zusammenstellung des medizinischen Materials über eine Krebspatientin (19).

1.10. Beim Tod ihres Vaters 1957 war Eva Reich 33 Jahre alt. Ihre Schwester Lore hatte den Kontakt zum Vater früh abgebrochen. Wilhelm Reich hatte Anfang 1957 seine Tochter Eva zu seiner Nachlassverwalterin bestimmt. »Du bist die einzige Ehrliche«, habe er als Begründung zu ihr gesagt. Sie selbst vermutet, daß er diese seine Entscheidung während seiner Haft bereute und für diese Aufgabe an Aurora Karrer, seine letzte Partnerin, dachte. Er habe aber eine solche Testamentsänderung nie schriftlich gemacht. »Am Ende hat mein Vater gedacht, ich wäre eine Verräterin. Er wollte mich überhaupt nicht mehr sehen. Ich hätte ihn mit einer 'Habeascorpus' petition vielleicht herausgekriegt aus dem Gefängnis ... Aber er hat es nicht unterschrieben...Ich kann nicht erklären, wieviel Aufregung da war.« Eva Reich bestimmte die interessierte und begüterte Mary Higgins zu ihrer Vertreterin in der Verwaltung des Nachlasses ihres Vaters. –

Eva Reich betrieb von 1952 – 1962 eine allgemeinmedizinische Dorfpraxis in Hancock/Maine. Ihre Bewerbung, ab 1974 als Geburtshelferin in Bangor/Maine zu arbeiten, wurde von der dortigen Klinik abgelehnt, unter anderem wegen ihrer orgonomischen Ansätze.

2. »Was nach meinem Verständnis Eva Reichs Arbeit und Wirken so einmalig macht, ist ihre sanfte feine Art der Berührung entsprechend dem »Minimum-Stimulus«-Prinzip und diese ist am besten nachvollziehbar durch ihre »Schmetterlings-« oder »Babymassage«, die sie bei der Therapie von primären Störungen - und nicht nur dort - anwendet und darüber hinaus die Tatsache, daß sie konsequent weltweit präventive Arbeit leistet, vor allem mit Schwangeren, Babies, Neugeborenen und deren Eltern, Hebammen usw.«schreibt E. Zornansky 20. Und V. Knapp-Diederichs berichtet nach Begegnungen mit Eva Reich 1986: »Im Kreis von Therapeuten ließ sie niemals die Aufforderung aus, jeder Psychotherapeut möge bitte sehr zehn Prozent seiner Tätigkeit der Prophylaxe von Neurosen widmen« (21).
»Mein Beitrag war, es so zu vereinfachen, die Prinzipien so auszudrücken, dassjeder es anwenden kann, - gegen den Professionalismus. Ich glaube, ich habe es geschafft, es einfach auszudrücken. Das unterscheidet mich von allen Theoretikern. .. Man müßte ein Kinderlehrbuch schreiben, während die Traumata da sind, daß sie gleich aufgelöst werden – ,  nicht erst später .... Durch die praktischen Beispiele kommen die Aha-Erlebnisse zustande.«


Wie kam Eva Reich zu diesem ihrem Lebenswerk mit dieser ihrer Biographie?

1959 ... (?) gebar Eva Reich ihr einziges Kind, ihre und Bill Moises Tochter:
»Es war ein großes Geschenk und änderte mein Leben. Es hat mir meine Wunden geheilt. Ich habe im eigenen Haus einen eigenen Montessorikindergarten aufgebaut, von 1963 ­
1966, eine sehr glückliche Erfahrung für mich. Meine Montessorilehrerin, die gute Emma Plank aus Wien, die wir Nuschi nannten, hat mir immer geholfen mit Informationen und Materialien (22). Darin hat unsere Tochter gelebt, als sie 2 1/2 bis 6 Jahre alt war. Es war eine der glücklichsten Perioden in meinem Leben.«

Im Blick auf die Jahre nach 1976, in denen Eva Reich rund um die Erde herum mit ihren Vorträgen über sanfte Geburt und Neurosenprophylaxe, ihre Arbeit mit Schwangeren, jungen Müttern, Eltem, Babies und beruflich mit ihnen Tätigen sowie durch ihre selbstentwickelte vegetotherapeutische Arbeit ihr ganz spezielles Lebenswerk gestaltete, sagt sie:
»Ich war 52 Jahre, als dieses ganze interessante Leben angefangen hat«.

So wie sich mir dies alles darstellt, hat Eva Reich ihr Leben lang seelisch daran gearbeitet, das Konstruktive im Erbe ihrer beiden Eltern und in dem aller Menschen, denen sie in ihrem Leben begegnet war, in sich zu ihrem Ureigenen werden zu lassen: »Das Verständnis, das ich von meinem Leben jetzt hab', hatte ich nicht immer. ... Es wuchs allmählich ... All das habe ich mir erarbeitet«. Für meine Wahrnehmung war diese emotionale Leistung nur möglich dadurch, daß sie mutiger als viele und mit der Kraft ihrer tiefen Religiosität, ihrer Vergewisserung des größeren Ganzen, alles Lebendigen, in jenes, ihr eigenstes»Massengrab, das eventuell noch voller Skelette ist« geschaut und sich den Schmerzen gestellt hat, die dieses Schauen bereitet.
In dem Maß, »in dem mein Verständnis für die eigenen körperlichen Zustände wuchs...wuchs mein Verständnis für die Babies. ... für meine eigene Heilung interessierte ich mich für das Verständnis der Säuglinge«.

Eva Reich hat in ihrem Leben Abgründe zu überwinden und immer wieder Brücken in sich selbst zu bauen gelernt. Mühsam hat sie sich als junges, selbständig werdendes Mädchen von der Gehirnwäscherin Berta Bornstein und dem Urteil ihrer Mutter über ihren Vater gelöst und sich ihre eigene Wahrnehmung Wilhelm Reichs gestattet, wie es aus ihren heutigen, z. B. den oben zitierten Worten über ihn deutlich wird.
Weil sie dies so viel ihrer Lebensenergie gekostet hatte, war es ihr offenbar dann erst viel später möglich, u. a. mit Hilfe von Constanze Corey, nach und nach die Mauern von Wut und Enttäuschung abzuschmelzen, die sie in sich von der (– letztendlich aus der körperlichen Bindung gespeisten – ) Bindungs-Liebe zu ihrer Mutter Annie trennten. Die oben zitierten Sätze geben davon Zeugnis. Eva Reich hat es schließlich geschafft, sich hinein zu versetzen in die seelische Situation ihrer Mutter, der Halbwaisen, in deren verschluckte Trauer um die eigene Mutter und den Bruder, in die Intellektuelle-, »Außergewöhnliche« im viktorianischen Wien. Sie hat gelernt zu verstehen und zu würdigen, wie sehr ihre Mutter selbst Opfer ihrer Zeit und der europäischen, körperfeindlichen Kultur gewesen ist.

Dass Eva Reich offenbar schließlich auch das – in das Schicksal seiner Eltern so verwickelte Leben ihres Vaters hinter sich lassen und von seinem Werk trennen, Letzteres auf ihre ganz spezifische Weise weiterentwickeln konnte, ist für uns alle ihr unbezahlbares Geschenk.
Sie trat mit ihrer ganz speziellen, leisen – und sich von der psychotherapeutischen Arbeit ihres Vaters abhebenden – Weise der Vegetotherapie, des aufklärenden Werbens für das Verständnis der Ungeborenen, Säuglinge und Kinder sowie ihrer »Babymassage« erst nach 1976, 19 Jahre nach dem Tod ihres Vaters!, an die Öffentlichkeit.

Viele, viele Zeiten seelischer Arbeit bedarf es offenbar, das Schicksal der eigenen Eltem und Großeltern (bzw. anderer Sippenmitglieder) bei ihnen zu lassen, n i c h t zu wiederholen und die eigenen Möglichkeiten zu ergreifen. Mir scheint das Werk Eva Reichs für die große Schar heute therapeutisch Tätiger vor allem deshalb wegweisend, weil noch immer ein tiefer Graben klafft z. B. zwischen Ihnen und ihrem/unserem Menschenverständnis einerseits, dem Menschenverständnis weiter Bereiche in Pädagogik, Wirtschaft, Politik und anderer Öffentlichkeit andererseits. An seiner Überwindung, auf prophylaktischem Feld, mindestens mit zehn Prozent der eigenen Arbeitskraft und mit genauem Hinhören auf das jeweils in einer Situation Mögliche zu wirken, für die kommunikativen Aufgaben dabei unser Leben lang wie Eva Reich am Verstehen unserer eigenen Handycaps zu arbeiten, dafür ist sie uns Vorbild.

(Ich möchte Frau Dr. Eva Reich in diesem Zusammenhang ausdrücklich danken für ihren Löwenanteil daran, daß ich selbst immer tiefer in die zur emotionalen Reflexion anregende Lehrer- und Eltern»bildungs-«, und nun auch in diese wunderschöne Körperarbeit mit Babies und ihren Eltern geriet).

Jürgen Fischer stellt in seinem Nachwort zu Sharafs Reichbiographie folgende Hypothese auf: »Es scheint, daß Reichs »heiliger Zorn« der sich sooft in ungezügelter Wut ausdrückte, nicht nur in seinem Charakter zu suchen ist, sondern durchaus auch die logische Konsequenz ist, wenn man an den Grenzen dessen arbeitet, was wissenschaftlich, sozial und ökonomisch möglich ist!« (23). Er scheint damit Querelen zwischen Reichschülern und -Enkeln rechtfertigen zu wollen. – Angesichts von Eva Reichs Leben, ihrer Art der Anstrengung zum Verstehen ihrer – und ihres Einfühlens in die eigenen Wurzeln, ihrer m. E. daraus gewachsenen, wunderbaren Weise des Wirkens für menschlichere Entwicklungsbedingungen und Beziehungen »ohne Gewalt« möchte ich hiermit die genannte Hypothese Jürgen Fischers in Frage stellen:

Eva Reich arbeitete wahrlich Zeit ihres Lebens »an den Grenzen dessen, was wissenschaftlich, sozial und ökonomisch möglich«ist und war. Die Mauern vor dem Frieden mit ihrer eigenen Biographie aber, das tiefste Hindernis lebensfördernder Arbeit hat sie­ immer gründlicher – niedergerissen, das eigene Seeleneis abgeschmolzen. Sie hat so, eine Generation später als Wilhelm Reich und mit anderen therapeutischen Möglichkeiten und Erfahrungen als er – durch ihre mutige Selbstreflexion einer »ungezügelten Wut« weniger Raum gegeben (– geben müssen?) (24) als Ihr Vater.
M. E. ist sie uns allen damit in unserem Bemühen um ein Verstehen und Annehmen unserer selbst als der stärksten Quelle wirklich wohlwollender gegenseitiger Kommunikation im Dienst der Nachwachsenden Wegweiserin.





1 In: Ich will verstehen. Piper, Zürich 1996, S.1
2 Simon und Leutner Vlg. Berlin, 1994
3 1997: Eva Reich – Leben für die Rechte der Kinder, in: 1. De Meo/B. Senf: Nach Reich, Zweitausendundeins Frankfurt a. M. 1997, S. 174
4 in ihrer Einleitung zu E. Reich/E. Zornansky: Lebensenergie durch Sanfte Bioenergetik (KöselVlg. München 1997, S. 10.)
5 Reich/Zornansky 1997 S. 76 u. öfter
6 die Texte in O.g. Buch: E.Reich/E.Zornansky und die in o.g. Buch hrsg. von J. De Meou.B.Senf
7 Reich/Zornansky 1997, S, 67 u. 66
8 vgl. L. de Mause, Hört ihr die Kinder weinen, 1977, Suhrkamp Frankfurt/M.
9 Sharaf, 1994, S. 70
10 Reich/Zornansky 1997, S. 156
11 vgl. auch zu Eva Reichs Religiosität »charismatischem Gebet« etwa in schwierigen therapeutischen Situationen Reich/Zornansky 1997, S. 65ff.
12 1994, S. 148
13 a.a.O. S. 176f.
14 1994, S. 407
15 Sharaf 1994, S. 449
16 Sharaf, 1994, S. 461
17 Sharaf, 1994, S. 473
18 Sharaf, 1994, S. 521
19 Sharaf, 1994, S. 535f.
20 Reich/Zornansky 1997, S. 10f.
21 1997, S. 175
22 »Emma Plank wurde Professorin bei der Medicin-Schule in Cleveland, Ohio, USA, und entwickelte die »workingwithchildren in Hospitals« Methodik. In Wien existiert ein Montessori Archiv mit viel Material über dieses Thema«.
23 Sharaf, 1994, S. 592
24 »Ich konnte auch 'wütend aufbrausen' wie ich jünger war, weniger als ich alt werde. Aber es geschieht noch immer ab und zu, besonders wenn ich Menschen auf der Strasse erlebe, die gemein mit ihren Kindern handeln. Z. B.: Wenn du dein Kind in der Öffentlichkeit mit dem Gürtel schlägst (der Bub war beim Schwimmen im Teich und kam nicht augenblicklich wie der Vater wegfahren wollte) was tust du ihm privat an?' Ich fange an zu zittern und mutig rufe ich laut, ohne zu denken vorher. Meistens 'verteidigend' den Schwächeren. Aber jetzt in USA wird das gefährlich wegen so viel Schiesserei...«


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