AUSGEWÄHLTE EIGENE TEXTE
Erinnerung an Auschwitz im August 2013
In einer Gruppe von 33 Menschen aus Deutschland, in der Mehrzahl der „Schule des Schauens“ zugehörig, fühlte ich mich gut aufgehoben mit meinen Eindrücken, Gefühlen, Berührungen und Gedanken beim Erleben der Stätten des Grauens und der Fassungslosigkeit --- während sechs gemeinsamer Tage (siehe u.a. www.harald-homberger.de):
Wir konnten einander täglich in dem gastlichen „Zentrum für Dialog und Gebet“ (etwa 10 Minuten Fußweg entfernt vom Stammlager Auschwitz) in Zweiergesprächen, in kleinen Gruppen oder in der Gesamtgruppe miteinander teilen, was uns bewegt hatte - .Behutsam wurden wir von Harald Homberger und weiteren sechs Mitgliedern der Arbeitsgruppe „Nationalsozialismus“ (der www.schule-des-schauens-de) ermutigt, an den besonderen Plätzen des Leidens, Sterbens und Mordens in Stille zu verweilen: „Öffnet euch für das Spüren! Stellt euch an diese Plätze! Geht ganz langsam durch das Tor - - ! Lasst geschehen, was ihr spürt! Geht auch in die Haut der Täter, nicht nur der Opfer. In Deutschland werden die Täter nicht angenommen. Das ist schlimm, weil es sich dann wiederholen kann. Erst in der Stille – kann sich zeigen, was ist. “
Es waren für jedes von uns unterschiedliche Orte der Stille - , etwa im Stammlager die noch begehbare Gaskammer mit ihrem Krematorium - (dort fühlte ich nach einiger Zeit des Sitzens dieses hoffnungslose Ausgeliefertsein, aber auch eine tiefe Verbundenheit mit den dort im Gas Ermordeten – ich wollte sie berühren); - die „Todeswand“ auf dem Platz neben dem "Todesblock", wo so Viele erschossen wurden (Ich konnte in der Vorstellung, einer der Mörder dort zu sein, der Teilnehmerin, die vor der Wand stand, nicht in die Augen sehen); - die engen „Stehzellen“ mit zu wenig Luft und Licht, in denen sich die Häftlinge nicht setzen konnten - ; - die Galgen, an denen die „Ungehorsamen“ vor den Augen ihrer zum Apell befohlenen Kameraden und vor den gut gekleideten Gattinnen der SS-Leute gehängt wurden; -
der schmuddelig ärztlich aussehende kleine Raum, in welchem so viele Kinder durch eine Phenolinjektion in ihr Herz getötet wurden; -
das Tor mit seinem zynischen Motto „Arbeit macht frei“; -
der Platz in dessen Nähe, wo das Lagerorchester zum Ein- und Auszug der Kolonnen spielen musste; -
der Galgen, an welchem Rudolf Höss hing.
Dort, einige Stufen höher als das übrige Gelände, hatte ich ein Gefühl von Macht.
Und dann, unter seinem Galgen kamen mir die Worte: Es ist in Ordnung so!.
Die etwa 3 km vom Stammlager nach Auschwitz-Birkenau gingen wir schweigend im Block – so, wie die Häftlinge damals gegangen sind (und ich spürte die Erschöpfung - , dann auch große Wut auf den Kapo in Gestalt eines Teilnehmers neben uns. Ich hatte den Impuls, ihn zu treten.)
Dort dann – unter dem großen Himmel und inmitten des weiten Geländes - waren Orte der Stille etwa die Fläche mit Menschenasche neben den Ruinen der Gaskammern und des "Krematorium V" --- , jetzt gnädig mit Gras und wilden Blüten bedeckt und von Bäumen umgeben – (dort saßen wir gemeinsam schweigend); - der Teich, ebenfalls gefüllt mit Menschenasche; - die Gaskammer mit dem Krematorium IV, welche Häftlinge gesprengt hatten und in der sie dann liegend erschossen wurden; - die „Sauna“ mit den noch original beschrifteten Räumen der vielfältigen Demütigungen und der vollständigen Beraubung ihrer Menschenwürde und Habe - ; - der "Kinderblock", innen zugebaut mit den Buchten, in denen die Kinder gelebt haben--- ohne irgendeinen Platz, sich bewegen oder gar spielen zu können --- (hier hatte ich die Vorstellung, der ganze jetzt leere Bau ist voller Kinder-Schreien -); - die Rampe der Selektion ---- zwischen den beiden Eisenbahngleisen inmitten des Lagergeländes.
Auf dieser Rampe, neben einem der Original-Waggons haben wir uns von Harald Homberger in zwei Blöcken so hinstellen lassen, wie die Menschen damals gestanden haben mögen - vor den sortierenden SS-leuten und vor Mengele, seitlich die Kapos, ebenso vertreten durch Teilnehmer aus der Gruppe. (Hier spürte ich deutlich das zerrissen Werden der Familien - .) Eine Teilnehmerin, die als Kapo stand, spürte „Angst, ganz viel Angst“, ein anderer, ebenfalls als Kapo: „Ich habe ganz selbstverständlich zuschlagen wollen“, eine Weitere als Opfer: „Ich habe mich ganz zuversichtlich, gläubig gefühlt: es wird alles gut gehen!“
Wir haben an den ersten beiden Tagen vormittags jeweils eine 4-stündige Führung durch die beiden Lager erlebt, ich in der Teilgruppe, geführt von einer sehr sensiblen polnischen ehemaligen Lehrerin als „Guide“. Sie beschrieb die schrecklichen Fakten/Zahlen und Geschehnisse an den verschiedenen Orten sehr feinfühlig, ohne jeden Vorwurf uns Deutschen gegenüber. Und sie half uns auch immer wieder zu Momenten der Stille, etwa an dem Grasfeld neben der Gaskammer V in Birkenau. Dort sagte sie: "Ich habe immer Angst, hier auf die Erde zu treten---".Das war so respektvoll, so würdigend --- . Ich bin ihr dafür sehr dankbar.
Eine Teilnehmerin sagte über sich an diesem Ort: „Hier habe ich so etwas wie Frieden gespürt, wie ein zur Ruhe- und Ankommen“.
Im Stammlager sind verschiedene Baracken als Dokumentationen von den Nationen gestaltet, deren meist jüdische Menschen dort gelitten haben und ermordet wurden - aus der Slowakei, Tschechien, Jugoslawien, Österreich, Frankreich, den Sinti und Roma, aus Holland und Belgien, Polen, Russland, Ungarn.
Das Innere einer Baracke, der Shoah gewidmet, wurde von jüdischen Menschen gestaltet. Dort erlebten wir im ersten Raum großformatig gezeigte Videos jüdischer Lebensfreude, eine hilfreiche Orientierung – neben all den Eindrücken des Grauens, und danach in vielen hintereinander aufgehängten Bildschirmen mit vollem Lautsprecher die Reden von Hitler und Göbbels – (Scham befiel mich in Anwesenheit vielen Gruppen jüdischer Jugendlicher). - In einem Raum in Augenhöhe an die Wand übertragene Originale von Kinderzeichnungen aus Auschwitz, sehr bewegend - .
Im Abschlussraum eine Kopie des Namenbuches von 4 Millionen Opfern, deren Geschichte in Jad wa Schem festgehalten ist. (Ich fand 12 Schicksale mit meinem Geburtsnamen "Hinz", Menschen aus Berlin und Sangerhausen ---, alle mir bisher unbekannt.)
Und wir hatten ein gemeinsames Schweigen in einem Versammlungsraum dort, in welchem an der Wand steht: „Es ist passiert, deshalb kann es wieder passieren. Das ist das Herz dessen, was wir zusagen haben“ Primo Levi.
In Primo Levis Buch: „Ist das ein Mensch“, welches er unmittelbar nach seinem Leben in Auschwitz schrieb, dortselbst zu lesen, machte mir die vielen Einzelheiten dieser Leidens noch fühlbarer!
Fast für alle in unserer Gruppe waren die vielen Gruppen israelischer Jugendlicher, zum großen Teil mit blau-weißen T-shirts, bedruckt mit „Jude“ oder auch mit großen israelischen Fahnen umgehängt – eine Art Demo auf der Straße nach Birkenau --- eine enorme Herausforderung. Einige von uns versuchten beim aneinander Vorbeigehen in den engen Baracken oder beim Stehen nebeneinander in freundlichen Blickkontakt mit ihnen zu kommen. Aber das gelang kaum. Und dann beglückte der Leiter einer der israelischen Gruppen mit seinem Interesse einer kleinen Gruppe von uns: „Woher kommt Ihr? - -- Das Leben verändert sich und wir machen die Veränderung“. Das aus einem jüdischen Mund zu hören, war für uns eines der größten Geschenke in diesen Tagen.
Verschiedene Sätze aus unseren Gesprächen über unsere Identifikation mit den Opfern und den Tätern: „ Über das, was unangenehm zu spüren ist, spricht man nicht. Die Täter sind nicht im Blick. – Ich könnte jeden Stein in Auschwitz in den Arm nehmen, fühle eine Liebe zu allem, was an diesem Ort ist“. – „In mir fing die Opferseite an zu hinken und die Täterseite in mir wurde breit und behäbig“. – „Verdammte Scheiße, ich mach´ hier auch nur meinen Job, Deiner ist zu sterben, meiner, Dich umzubringen“. – „Ich habe mich in der Täter- und in der Opferrolle gelangweilt“. – „Als Täter musste ich schießen. Das war wie eine Erlösung, ähnlich als Opfer, endlich erlöst zu werden. Beide waren in so einer Verbundenheit der Erlösung. Als noch lebendes Opfer hatte ich auch Wut – Die Seele ist schon lange weg“. – „Wegen Euch bin ich hier und muss töten!“ – „Ich bin nicht mehr ich als Mensch“. – „In der Kapo-position erlauben sie Dir nicht, dass Du spürst, was Du tust“. – „Es gibt nicht e i n Täter- und e i n Opfergefühl“. „--- dass ich die Opfer bisher nur als Opfer gesehen habe, nicht als Menschen! Jetzt sehe ich sie als Menschen. Ich habe mich an der Reihe der Gedenkplatten in Birkenau in den Sprachen der Ermordeten vor die mit der deutschen Schrift gestellt und innerlich klar gesagt: ich bin Deutscher!“
Vom 3. Tag an haben wir abends Übungen zu Dritt "gemacht": Die erste Übung: Eine Person vertrat einen Täter in meinem familiären Umfeld, eine Person ein Opfer, ich selbst war ich. Dann wurde gewechselt, sodass jedes von uns sich nacheinander in alle drei Personen hineinfühlen konnte. Ich benannte unseren Onkel Otto, Vaters einzigen Bruder als Täter. Die Teilnehmerin, welche für Otto stand, fing bald an zu zittern, die Arme zu schlenkern, immer schneller „wie marschierend und wie eine Marionette“, sehr heftige Bewegungen, wehrte meinen Versuch, ihren Rücken zu berühren ab und befand sich lange in dieser getriebenen Bewegung, bis sie in die Knie ging – jetzt meine Hand auf ihrem Rücken ertragen konnte und langsam zur Ruhe kam. Die Teilnehmerin, die für das Opfer stand, senkte zunächst den Kopf, schaute abwechselnd uns beide an und ging dann zu Boden, zusammengekniet den Kopf auf dem Boden. Ich hatte mich lange als Vermittlerin zwischen den beiden gefühlt, rutschte, als sich die Vertreterin für Otto beruhigt hatte, zu der Vertreterin des Opfers und legte meine Hand dann auf ihren Rücken: „Das tat gut“. Die Vertreterin von Otto sagte in unserem auswertenden Gespräch: „Es braucht noch viel mehr - !“
Die Teilnehmerin, welche in meiner Dreiergruppe meinte, keinen Täter in ihrer Großfamilie zu haben und deshalb „irgendeinen Täter“ aufstellte, sagte bei der Auswertung beeindruckt: „Das hat dennoch viel mit uns zu tun!“ .
Die zweite Übung zu dritt: Ich vertrete einen Täter in meiner Familie. Eine andere Person vertritt dessen Täteranteil und die dritte Person dessen Opferanteil.
In dieser Übung wollte ich der Frage nachgehen, welchen Täteranteil unser Vater Paulus hat, dem ich seit einiger Zeit in meinem Inneren vorgeworfen habe, dass die bekennende Kirche nichts oder kaum etwa gegen die Massenmorde an den Juden getan hat: Die Person, die den Opferanteil unseres Vaters vertrat, näherte sich mir lächelnd und hakte mich unter. Die Person, die seinen Täteranteil vertrat, entfernte sich immer weiter: „ich fühlte mich nicht zugehörig zu Dir, wollte ganz weit weg.“ Opferanteil: „Ich fühlte mich nicht als Opfer, eher stark, fast ein wenig überheblich – wie verdreht“. Weil wir drei in der Auswertung damit etwas hilflos waren, baten wir Harald zum Gespräch darüber. Der: „Vielleicht hat er es so bearbeitet, dass die Seele---„. Ich muss mein inneres Verhältnis zu unserem Vater revidieren!
Eine Teilnehmerin unserer Dreiergruppe stellte ihren polnischen Vater auf, der als Widerstandskämpfer auch im KZ war, sein Leben lang unter Angst vor der Polizei litt, nach 1945 wenig über sein Schicksal habe sprechen können, unter der mangelnden Anerkennung sehr gelitten habe und nach einer TBC praktisch einen Erstickungstod gestorben sei. Als Täteranteil dieses Mannes hatte ich schnell das Gefühl, mich weit von den beiden entfernen und zurückziehen zu müssen. Die Vertreterin für den Opferanteil, eine zarte, zurückhaltende Frau, kam bald zunächst in starkes Stöhnen, dann in sehr sehr heftiges Schreien und Schlagen auf einen Tisch: „Ich hätte alles zerschlagen können“, sagte sie in der Auswertung zu dritt. Die Tochter dieses Mannes als er selbst konnte zitternd und schluchzend nicht auf den Opferanteil sehen. Als sie sich ihm dann annähern wollte, wehrte jener sie mit dem Fuß ab-----
Die dritte Übung zu dritt: Ich und meine eigenen Täter- und Opferanteile: Mein Täteranteil plusterte sich zunächst vor meinem Opferanteil auf: „Ich hab´ hier das Sagen!“ Ich hatte zunächst das Gefühl, die beiden Männer sollen das ruhig unter sich ausfechten und trat ein wenig zurück. Dann aber: ich will nicht, dass sie sich bekämpfen, und ging näher an die beiden heran. Da wich der Vertreter für meinen Täteranteil zurück und er berichtete in der Auswertung: „Da ging das Überhebliche weg“. Immer wieder suchten wir drei Personen dann einen gleichmäßigen Abstand zwischen uns Dreien--- .
Am letzten vollen Tag durften diejenigen aufstellen, die zu diesem Zeitpunkt ein besonderes Anliegen hatten: Diejenige Teilnehmerin mit dem polnischen Widerstandsvater, dessen Schicksal ich oben schon unter der zweiten Übung beschrieb, bat um eine Aufstellung. Harald bat sie, ihren Vater, Polen als seine Heimat, das Lager und eine Person für „das, was nicht anerkennen will“ aufzustellen. Für dies Letztere wählte sie einen Mann, der bald abgewandt, breitbeinig bis zum Schluss am Rande des Raumes stand, sich lange die Finger in seine Ohren steckte, um nicht zu hören, was hinter ihm vor sich ging. Die Stellvertreterin für das Lager lag schnell am Boden und versuchte vergeblich, den Stellvertreter für das, was nicht anerkennen will – zu einem Blick für sie zu bewegen, blieb dann einfach liegen. Der Stellvertreter für den Vater, zunächst sich krümmend und stöhnend, und diejenige für Polen hatten sich bald eng umschlungen und weinten miteinander – die Aufstellerin selbst dann mit ihnen - . Harald bat eine weitere Teilnehmerin, sich neben die Vertreterin für das Lager zu legen und diese Vertreterin anzusehen. Dann bat er den Vertreter für den Vater vor das, was nicht anerkennen will, zu treten und ihm zusagen: „das Lager lasse ich jetzt dir“. Dieser Vertreter für den Vater richtete sich auf, wurde selbstbewusster, stellte sich halb vor den Vertreter dessen, das nicht anerkennen will, schaute den an--- und bekam kein Wort heraus. Er ging dann zurück zu den Vertreterinnen für Polen und die Tochter zum gemeinsamen Weinen - - .
Ich hatte mich auch gemeldet, wollte gern mein schweres Herz gegenüber unserem ältesten Bruder Christoph besser verstehen, der 1944 16-jährig als Flack-helfer eingezogen worden war, soviel ich weiß, nie über seine Erlebnisse vor Berlin in den letzten Wochen vor der Kapitulation gesprochen hat, ev. Theologe wurde, an einem Lungenemphysem gestorben ist und zwei Kinder hat, welche heute unter MS leiden. Harald bat mich, unseren Vater, seinen Vater und seinen Bruder Otto, Christoph und mich aufzustellen. Ich stellte sie generationenweise hintereinander und mich in einem gewissen Abstand ihnen gegenüber. Für das Verstehen des Folgenden ist wichtig, dass alle Bewegungen in ganz langsamem Tempo geschahen und immer wieder lange Pausen dazwischen entstanden--: Der Stellvertreter für Christoph wankte etwas, hob den rechten Arm wie zum Hitlergruß und wendete den Blick zu Boden. Das ist für erfahrene Aufsteller immer ein Zeichen dafür, dass ein Mensch auf einen Toten schaut. Harald bat eine weitere Teilnehmerin, sich als Opfer neben mich und vor den Vertreter für Christoph zu legen. Sie fasste mein Bein und rutschte mit ihren Füßen zu den Beinen des Stellvertreters für Christoph, ihn stoßend, an seinen Beinen mit ihren Füßen hochrangelnd, dann aufstehend und versuchend, ihm den Arm herunterzureißen, (später: „Ich hatte eine mörderische Energie, hätte ihn umbringen können“), sie griff nach seinem Hals. Da stellte ich mich hinter den Stellvertreter für Christoph und versuchte, diese seine Umklammerung abzuwehren. Harald: „Der Krieg ist vorbei!“ Daraufhin ließ die Stellvertreterin für ein Opfer den, der für Christoph stand, los. Der ließ seinen rechten Arm sinken, ich strich ihm - hinter ihn getreten - die Arme entlang. Dann schüttelte er mich ab und ich zog sich weiter nach hinten zurück. Die Stellvertreterin für ein Opfer wendete sich ab. Der Stellvertreter für Christoph ging in die Knie und weinte – lange – bitterlich. Harald sagte ihm, er solle der Stellvertreterin für die Opfer sagen: „Danke, dass du Dich zurückziehst! Du hast mir das ganze Leben über auf meiner Brust gelegen. Und du bist unschuldig – und ich auch. Ich war ja ein Kind“ und zu mir „Es ist gut, dass Du auf uns beide schaust“. Der Stellvertreter für Christoph konnte es nur nach und nach – zögerlich - sagen. Inzwischen lag der Vertreter für unseren Onkel Otto schon länger auf dem Boden. Ich – inzwischen auch auf dem Boden sitzend, rutschte zu ihm und wollte ihm meine Hand auf seinen Rücken legen. Das wehrte er vehement ab (später: „aus Scham“). Harald forderte mich dann auf, mich neben die Stellvertreter für unseren Vater zu stellen. Und er forderte diesen Stellvertreter und den für dessen Vater auf, zu dem Vertreter unseres Onkels Otto zu sagen „Du gehörst zu uns!“ Und ich sollte sagen „Und wir lassen Dir jetzt Frieden“ (der Stellvertreter für unseren Onkel Otto später: „Das beides zu hören, war gut, dazuzugehören – und gehen zu dürfen“).Die Tränen bei dem ganzen Geschehen konnte ich nicht zählen.
Harald erzählte zum Ausgeschlossensein der Täter in unserer deutschen Gesellschaft ein berührende Scene aus einem Aufstellungsseminar in einer Kirche, bei welcher der Vertreter für den "Täter" völlig isoliert abseits gewesen sei und der Prozess stagniert habe: Da sei ein großer Hund, der in dieser Kirche mit dabei war, aufgestanden, sei langsam zu diesem Menschen gegangen und habe sich um seine Füße herumgelegt. Daraufhin hätten die Tränen und die gesamte Bewegung fließen können.
Eine weitere Aufstellung handelte von einem Nachfahren des Doktorvaters von Mengele. Er wurde aufgefordert, sich selbst, diesen Doktorvater und Mengele aufzustellen: Der Stellvertreter für diesen Teilnehmer irrte zunächst ruhelos umher und stellte sich dann weggedreht am Ende des Raumes hin. Harald bat vier weitere TeilnehmerInnen, sich für Mengeles Opfer auf den Boden zu legen und führte den Stellvertreter für diesen Teilnehmer so an die Liegenden heran, dass er sie ansehen musste. Die Liegenden krümmten sich. Harald drehte die Vertreterin für Mengele (eine Frau), die solange auch abgewandt stand, so, dass sie die „Opfer“ ansehen musste. Sie stolzierte zwischen den Liegenden herum, von ihnen an ihren Beinen gezupft und gestoßen ---.
Nach solchem längeren Geschehen führte Harald die Stellvertreterin für Mengele weg von den Opfern. Sie ging allein an den äußersten Rand des Raumes, brach dann zusammen und schrie und schrie und schrie--- riesig laut und eindringlich - unvergesslich, während sich ihr Körper – auf dem Bauch liegend krümmte (Harald später: „das ist der Schrei all´der Kinder, die er benutzt hat.“). Während dessen standen die Stellvertreter für den Teilnehmer und Mengeles Doktorvater – für mein Wahrnehmung wie ungerührt. Harald bat den Stellvertreter für den Teilnehmer zu dem Doktorvater von Mengele zusagen: „Das ist die Wahrheit, ich werde es nicht vergessen – für meine Kinder“. Der Stellvertreter sagte es.
Harald später: „Die Erfahrungen mit Aufstellungen zeigen, dass die Täter und die Opfer so aufeinander bezogen sind, dass sie sich schwer voneinander trennen können. Deshalb ist es in solchen Aufstellungen nötig, behutsam einzugreifen---„)
Zur Einführung in die Schlussmeditation Harald: „Nimm in Dein sogenanntes spirituelles Herz, was Dich hier an diesem Ort berührt hat. Nicht Dein persönliches, emotionales Herz, das könnte es nicht tragen--- fühle mit, was Dich berührt hat, und lasse es ein in diesen größeren Ort in dir, der dem Größeren entspricht, wo es sich wandeln kann – in Liebe“.
Ruth Priese am 7.9.2013
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