Ruth Priese
Ruth Priese     Körper- und systemisch orientierte Begleitung von kleinen und grossen Menschen

                                                        AUSGEWÄHLTE EIGENE TEXTE


Einnerung an Sachsenhausen im August 2016


Der Enkelsohn einer Freundin führt als Student regelmäßig Gruppen - besonders solche von Schülerinnen und Schülern - durch die Gedenkstätte KZ Sachsenhausen. Da ich als Berlinerin zu meiner Schande noch nie dort gewesen bin, zog es mich, eine Führung mit ihm mitzuerleben und ich verabredete mich mit ihm.
Nun war es so weit:
Der junge Mann stieg nach einer kurzen Begrüßung und Vorstellung sowie nach einem Ermahnen der Jugendlichen, dass sie sich hier auf einem Friedhof befänden, schnell in die Infos über die historischen Fakten der Errichtung dieses Lagers, seinen "Zweck" und in alle die schrecklichen Ereignisse und Greuel ein, die sich hier ereignet haben. An wichtigen Orten des Geländes wie z. B. dem gefürchteten Bau für die SS-Männer genau gegenüber des Eingangs in das sternförmig angelegte Areal der Baracken, vor dem "Apellplatz", neben der Baracke, die noch erhalten ist und welche wir uns ansehen konnten, am Krematorium und an dem Barackenort mit der Genickschußanlage und den Fotos der dort ermordeten russischen Gefangenen - - - - machte er Halt und berichtete von weiteren erschreckenden Details des Alltags im Lager. Er fragte die Jugendlichen immer wieder nach ihren Kenntnissen. Und einige von ihnen antworteten brav.
Nach solchen 2 Stunden bedankte er sich für die Aufmerksamkeit und verabschiedete sich von der Gruppe mit Lehrerin.
Ich blieb noch mit ihm im Gespräch und er war bereit dazu. Ich drückte meine Hilflosigkeit aus, fragte ihn, ob er von meinen Gedanken etwas wissen möchte. > Ja. Ich sagte, ich habe nur eine einzige Frage nach dem emotionalen Ergehen der jungen Menschen während der Führung und im Angesicht dieser Plätze des Grauens vermisst, einen wenigstens kurzen Einstieg in die emotionale Ebene unserer Gehirne - -  und an bestimmten Orten ein kurzes Innehalten - ohne Worte - , ein Innehalten des gemeinsamen Gedenkens an die Ermordeten.  Und ich schlug ihm vor, dass die Gruppen nach den Führungen doch bitte Gelegenheit bekommen sollten, sitzend und entspannt - über ihre Gefühle und Eindrücke sprechen zu können. (Diesen Wunsch hatte ich auch vor Jahren nach dem Besuch von "Topf und Söhne" in Erfurt, denn ich war ja vor drei Jahren in Auschwitz in einer Gruppe für 6 tage gewesen, in der wir nachmittags und abends unser Erleben und unsere eigenen familiären Bezüge mit den Anderen teilen konnten.) Und ich fragte ihn nach Zusammenhängen seines Engagement mit seiner eigenen Familie > er erzählte von seinen beiden Urgroßvätern --.
Als der junge Mann mit seinem Fahrrad zum S-Bahnhof Oranienburg schon weg und die Gruppe der Jugendlichen lange wieder abgefahren waren, wartete ich auf den Bus zum Bahnhof neben einer jungen Frau in Beleitung spanischer Freunde und fragte sie nach ihren Eindrücken. Sie erzählte von tiefer Betrofffeneit. Das tat mir gut. Wir fuhren dann zusammen im Bus und trennten uns am Bahnhof.
Im Regionalzug nach Berlin dann allein - endlich - konnten bei mir die Tränen ihren Lauf nehmen.


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