Ruth Priese
Ruth Priese     Körper- und systemisch orientierte Begleitung von kleinen und grossen Menschen

                                                        AUSGEWÄHLTE EIGENE TEXTE


Zum Dialog - - am Ende der Diskussion


Über und aus David Bohm: „Der Dialog. Das offene Gespräch am Ende der Diskussion“ (6.Aufl. Klett-Cotta 2011 – Diese Buchempfehlung ausgerechnet zu dieser Corona-Weihnachtszeit? vielleicht, weil das Miteinander sprechen gerade sooo wichtig ist. Ich reihe hier viele Zitate nur mit Leerstellenstrichen aneinander, um den Autor bei aller Kürze so viel wie möglich selbst zu zitieren in der Hoffnung, Sie schauen dann selbst, wie viel Unerwähntes dazwischen steht)

Dies ist vielleicht das mir wichtigste Buch, dem ich in diesem Jahr begegnet bin, weil es uns gesellschaftlich auf einen konstruktiven Weg bringen bzw. uns in diese Richtung zu gehen helfen könnte.

Bohm (1917-1992) war ein in den USA geborener, zeitweise mit Einstein im Kontakt stehender Physiker und Philosoph (siehe u.a. auch sein Buch “Die implizite Ordnung“ im Sinne von: die verborgene Ordnung) mit einer großen Erfahrung auch im Blick auf unsere menschliche und zwischenmenschliche Wirklichkeit.

In dem Band sind sieben Texte Bohms zusammengestellt, die den Unterschied zwischen der allgemein verbreiteten Weise unseres Gedankenaustauschs und Redens – oft aneinander vorbei – neben die Weise stellen, die er Dialog nennt, wörtlich: dia logos - „durch das Wort“ -„freier Sinnfluß, der unter uns, durch uns hindurch und zwischen uns fließt“ (S.33).
Bohm macht in zwischenmenschlichen Beziehungen unserer Kulturen einen Zustand vielfacher sozialer und persönlicher Fragmentierung aus, welchen er bewusst machen und beleuchten möchte, beschreibt etwa unser häufiges gefangen Sein in unseren jeweiligen Annahmen und Meinungen, die unser Denken prägen und von denen wir oft fälschlich meinen, sie würden die Realität abbilden. Fragmentierung meint, die Dinge werden „in kleine Teilstücke aufgespaltet, als würden sie getrennt voneinander existieren - - - es wird etwas auseinander gerissen,was nicht wirklich voneinander getrennt ist. Es ist, als würde man eine Uhr nehmen und sie zerstören ---“, statt die Teile so auseinander zu nehmen, dass man sie wieder zusammenfügen kann (S.102).

In einem gelungenen Dialog demgegenüber, in welchem wir vorurteilsfrei, uneingeschränkt und ganz aufmerksam einander wahrnehmen, hätten wir demgegenüber die Möglichkeit, tieferen Bewusstseinsstrukturen, einer untergründigen Verbundenheit, der impliziten oder verborgenen Ordnung zu begegnen und gemeinsam zu Neuem zu kommen.
Dafür sei ein Bewusstsein der eigenen „geistigen Sperren“ entscheidend, die Bereitschaft, unsere Grundannahmen und Meinungen (die jeweiligen Ergebnisse aller unserer und der auf uns gekommenen biographischen Erfahrungen unserer Vorfahren) in Frage zu stellen.
„Wenn wir alle unsere volle Aufmerksamkeit dem zuwenden können, was konkret die Kommunikation blockiert, während wir gleichzeitig gebührend auf den Inhalt dessen, worüber kommuniziert wird, achten, werden wir vielleicht in der Lage sein, gemeinschaftlich etwas Neues zu schaffen - etwas, das für die Beendigung der gegenwärtig unlösbaren Probleme des Individuums und der Gesellschaft von allergrößter Bedeutung ist“ (S.30f). Bohms „vielleicht“ scheint mir dabei bedeutsam, weil er uns auch davor bewahren will, unsere eigene Überzeugung so vehement zu verteidigen, als könnte irgendeine Meinung die absolute Wahrheit sein.
Er beschreibt die Dringlichkeit einer dialogischen Gesprächskultur für die menschliche Zukunft auch darin, dass er uns bereit zu machen hofft, auch unsere jeweiligen kulturellen Sinn Setzungen (Annahmen) fragend in den jeweiligen (Gruppen-) Raum zu stellen und so „in der Schwebe“ zu halten. Ähnlich ermutigt er uns, unsere jeweilig aufkommenden Gefühle beim Hören gegenteiliger Meinungen, etwa Ärger, Zorn oder auch Wut (vielleicht sogar Hass) in der Schwebe zu halten, d.h. sie anzuschauen, zu würdigen, zu reflektieren, um sie nicht sofort ungefiltert aus uns herauslassen zu müssen. Es „könnte sein, dass wir ganz natürlich und mühelos viele unserer Sinn Setzungen fallen lassen“ (S.70).

Bohm weist wiederholt und unüberhörbar auf die Frustrationen hin, die in der Regel entstehen, wenn eine Gruppe diese Weise des Dialogs einübt. Es brauche manchmal Jahre regelmäßiger Treffen, um miteinander die Qualität gegenseitiger Achtung und Toleranz, des in der Schwebe Haltens von Meinungen zu erwerben. „Dass wir die Frustrationen des Dialogs aushalten, kann eine größere Bedeutung haben, als es auf den ersten Blick scheint. - - - Zorn, Weißglut, Haß und Furcht, aber wir müssen etwas finden, das diese Gefühle integriert“ (S.82f)!

Zur Veranschaulichung solcher Prozesse berichtet er von Dokumenten über einen nordamerikanischen Indianerstamm: „Jäger und Sammler lebten dort normalerweise in Gruppen von zwanzig bis vierzig Personen zusammen. Von Zeit zu Zeit setzte sich dieser Stamm im Kreis zusammen. Sie redeten nur, redeten und redeten, scheinbar ohne Ergebnis. Sie trafen keine Entscheidungen. Es gab keinen Anführer. Und jeder konnte etwas zu dem Gespräch beitragen - - - bis es scheinbar grundlos abbrach. Aber danach schienen alle zu wissen, was zu tun war, weil alle zu einem größeren Ganzen gehören und weil sie einander so gut verstanden. Dann konnten sie in kleineren Gruppen zusammenkommen und etwas tun oder Entscheidungen treffen (S.49f).
Im Gegensatz zu dieser großartigen Kultur berichtet er voller Bedauern von der gescheiterten Kommunikation zwischen Nils Bohr und Albert Einstein (S.83). Beide hätten – samt Anhängerschaft - bis an ihr Lebensende auf ihren Meinungen beharrt und sich nicht einigen können.

Die Naturwissenschaften „- - müssen sich vor der Vorstellung der Wahrheit hüten“ - einer eindeutigen Wahrheit (S.84). „Wir müssen zuhören, wir dürfen keine Möglichkeit ausschließen - - - Das Ganze ist zu viel. Das Denken kann das Ganze nicht erfassen, weil es lediglich abstrahiert, es begrenzt und definiert“ (S.85f). „Eine grundlegende Annahme, die wir infrage stellen müssen, ist die, dass unser Denken unser eigenes individuelles Denken ist - - - es hat seinen Ursprung in der Kultur als Ganzer und durchdringt uns vollständig - - - arbeitet ohne Unterlass - - - autonom - - - aber es weiss nicht, was es tut“ (S.106f). Unser Denken re-präsentiere die Fakten nur, ohne dabei den Unterschied zwischen der Re-präsentation (wieder-Vorlage) und den Fakten selbst zu bemerken. Dieser Unterschied ist uns also nicht bewusst. Wir könnten aber unsere Aufmerksamkeit auf diesen Unterschied lenken, meint Bohm. „Wir müssen irgendwie lernen, auch das Denken zu beobachten“ (S.143) durch das lenken unserer Aufmerksamkeit auf die Weise, w i e wir denken. - - - „---den Gedanken im Körper und im Bewusstsein stehen zu lassen, ohne ihn zu unterdrücken oder in die Tat umzusetzen“ (S.146), z.B. den Gedanken und das Gefühl: ich bin verletzt. „Daher muß jede Veränderung, die wirklich zählt, im stillschweigenden, konkreten Denkvorgang selbst stattfinden. Eine Änderung n u r im abstrakten Denken wäre nutzlos“ (S.148).

„Nehmen wir z.B. das Fahrradfahren. Wenn man nicht weiss, wie man Fahrrad fährt, dann stimmt das Wissen nicht - - - Das Tun entspringt dem physischen stillschweigenden Wissen“ (S.148f) „Man braucht das stillschweigende Wissen, das man dadurch erwirbt, dass man tatsächlich Fahrrad fährt und dann korrigieren wir das vorhandene Wissen. Wenn das stillschweigende Wissen - - - ein positives Ergebnis feststellt, macht es weiter, es geht ein Stück weiter. Das Denken ist ein stillschweigender Prozeß von größerer Subtilität als etwa das Radfahren. - - - eine Bewegung.“ (S.149). „Vielleicht können wir sogar sofort bemerken, auf welche Weise das Denken die Wahrnehmung beeinflußt“ (S.150) - - - „Aber das Denken behandelt sich selbst nicht als Bewegung- - - Es ist wie mit den Lichtern von Las Vegas, die uns davon abhalten, das Universum zu sehen“ (S.153). Die Materie könnte „auf grundlegende und subtile Weise auf die Wahrnehmung reagieren, die von der Wissenschaft vielleicht nicht einmal festgestellt werden kann. Es könnte jedoch ein Wandel eintreten. Das ist meine Vorstellung: dass Einsicht oder Wahrnehmung das Ganze beeinflussen werden, nicht nur das auf Schussfolgerungen beruhende Verstehen, sondern auch die chemische Ebene, die stillschweigende Ebene – alles (S.155).

Schließlich führt Bohm uns in die Tiefe unserer Sehnsucht nach Kontakt mit dem „Unbegrenzten“, dem „Extra nos“ Kants, dem „Unendlichen“, das uns alle umgibt. Dafür verbindet er uns mit den Vorstellungen etwa der Eskimos, die in jedem Seehund eine Manifestation aller Seehunde erleben, denen sie danken, dass sie durch sie zu essen bekommen. Kulturen, in denen den Menschen unsere Verbundenheit mit dem Ganzen bewusst ist, nennt er „partizipierende Kulturen“. - - - „In den letzten fünftausend Jahren haben wir dies umgedreht und auf den Kopf gestellt, und unsere heutige Sprache sagt: ´Das ist doch alles Unsinn. Wir werden das gar nicht beachten´ “. Unser „wörtliches Denken - - - behauptet, uns einfach mitzuteilen, wie die Dinge eben sind“.- - - Ein solches Denken will eindeutig sein.- - - Owen Barfield hat ein solches Denken mit Götzenanbetung verglichen - - - Wir können sagen, dass wir in gewisser Weise unsere Worte und Gedanken anbeten, insoweit sie behaupten, Beschreibungen der oder Aussagen über die Realität zu sein, s o w i e s i e
i s t“. Demgegenüber gilt: „Sie können einen Teil der Realität erfassen, aber nicht `alles`“
(S.158f).

Nun ist „das partizipierende Denken irgendwie ins Verborgene abgewandert; es wurde in den Schatten gestellt und verblaßte, blieb aber im Untergrund erhalten. - - - das schuf ein Bewusstsein von Einheit - - - das Gefühl, daß Grenzen nicht wirklich Trennungen sind sondern nur beschreibenden Zwecken dienen.- - - Diese Denkweise würde niemanden dazu verleiten, unseren Planeten auszuplündern.- - - Tief unten im Unbewußten muß eine solche Denkweise noch Teil von uns allen sein - - -“ (S.160f). „`Die Gesellschaft` ist eben keine objektive Realität. Sie ist eine Realität, die von allen Mitgliedern dieser Gesellschaft durch ihr Bewusstsein geschaffen wird“. Im „dialogischen Geist“ können wir merken: „Das Denken ist eins, manifestiert sich aber an allen möglichen Orten und mit allen möglichen spezifischen Inhalten - - - Letztendlich ist es das Wesen der Welt, daß alles gegenseitige Partizipation ist – alles ist alles“ (S.165f). Bohm spricht von drei Dimensionen von uns Menschen, der individuellen, der kollektiven und der kosmischen Dimension. „Wenn wir bedenken, daß es auch notwendig ist, das Unbegrenzte zu erreichen, mit ihm in Verbindung zu treten, dann muß Stille im Gehirn herrschen – es darf nicht beschäftigt sein.- - - Also müssen wir uns irgendwo einen Raum schaffen, wo wir die Muße haben, dem allen auf den Grund zu gehen. Das englische Wort für `Muße`, leisure, hat die Grundbedeutung `Leere`- ein leerer Raum- - - wir brauchen einen leeren Raum, zeitlich oder räumlich, wo nichts uns beschäftigt - - - ein solcher leerer Raum könnte im Dialog entstehen, wenn eine Gruppe von Menschen einander wirklich vertraut--“ (S.173).

Auch ich hoffe inständig, dass wir auf der persönlichen ebenso wie auf der gesellschaftlichen Ebene immer mehr hinein wachsen in eine solche Kultur der Partizipation.

Ruth Priese im Dezember 2021



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